Mai 2007

Ganz im Zeichen der Frau
In der Stadtteilbibliothek lasen Frauen über Frauen.


Die Stadtteilbibliothek am Berliner Platz stand am Vorabend des Internationalen Frauentages ganz im Zeichen der Frau. Da ging es um die 60-jährige Luise, die, um von Hartz IV loszukommen, eine Sex-Hotline übernimmt. Schließlich ist sie alt und braucht das Geld. Die durch DFD-Fahrten nach Polen reiseerfahrene Helga hingegen träumt auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch von einer Chefkarriere im Reisebüro und die „rote“ Heike vereinigt sich mit einem ehemaligen Klassenfeind, um die deutsch-deutsche Einheit voranzutreiben. Während Hanne Luhdo und Carola Hoffmann mit Humor Alltagsprobleme auf die Schippe nahmen, schlug Elisabeth Sauer mit ihren Kindheitserinnerungen besinnliche Töne an. Authentisch war auch die Geschichte auch Zoja Vites, die nicht nur den eigenen Lebensweg in ihrer russisch-jüdischen Familie skizzierte, sondern auch den ihrer deutschen Freundin Sigrid. Die beiden lernten sich vor zehn Jahren im Schweriner Stadtteil Mueßer Holz kennen und trugen ihre Parallelgeschichte in der Stadtteilbibliothek gemeinsam vor. Angeregt durch das plattdeutsche Frühlingsgedicht von Elisabeth Sauer zum Abschluss der Lesung holte Ilse Wendelborn aus der Weststadt einen Text von Ursula Kurz aus ihrem Portmonee und trug ihn vor. Nicht nur für diesen spontanen Sonderauftritt gab es viel Applaus, sondern auch für das Frauentagsgedicht von Karl-August Puls, das der 79-Jährige mit ganzem Charme dem weiblichen Geschlecht widmete. Zur Überraschung aller erhielten nicht nur die Akteure des Abends Rosen, sondern auch alle weiblichen Zuhörer, überreicht vom Verein "Die Platte lebt". Eine fraulich-erbauliche Veranstaltung, die Lust macht auf die Fortsetzung. Die monatlichen Lesungen in der Stadtteilbibliothek Neu Zippendorf werden gefördert durch das Programm "Soziale Stadt". sch
Bild: Die Autorinnen des Abends: Hanne Luhdo, Zoja Vites, Elisabeth Sauer, Carola Hoffmann (v. l. n. r.) Foto: sch
 
 
Eine schmale Gratwanderung
"Erzähl-Cafés" fanden viel Interesse

Mit einer derart großen Resonanz hatte die Arbeitsgruppe Dreesch-Museum innerhalb des Vereins "Die Platte lebt" wahrlich nicht gerechnet, als sie die Reihe "Erzähl-Café" eröffnete: Aus den ursprünglich geplanten drei Veranstaltungen dieser Art in den Stadtteilen Großer Dreesch, Neu Zippendorf und Mueßer Holz wurden doppelt so viele, und bei Bedarf - so Vereinsvorsitzende Hanne Luhdo - "sind wir bereit, zu weiteren Erzähl-Cafés einzuladen und die Erinnerungen in Wort und Ton festzuhalten". Inzwischen nahmen zahlreiche weitere alteingesessene Dreescher das Angebot wahr, in den Nachbarschaftstreffs in der Lise-Meitner- und in der Friedrich-Engels-Straße über ihre Erlebnisse beim Einzug vor rund 30 Jahren in die damals komfortablen Wohnungen im Neubaugebiet zu berichten. Die Erinnerungen kamen dabei manches Mal einer Gratwanderung zwischen Vereinfachung und Verklärung nahe. Mehrere Besucher der "Erzähl-Cafés" waren in den siebziger Jahren aus dem Süden der damaligen DDR als junge "Nordlandfahrer" hierher gekommen und einem SED-Beschluss gefolgt, der vorsah, auch das landwirtschaftlich geprägte Schwerin zu einer "Hochburg der Arbeiterklasse" zu machen. Zu jenem Zweck wurde das Industriegebiet Süd aus dem Boden gestampft. Beispiel für die Mangelwirtschaft damals: "Die Möbel für das Kinderzimmer holten wir aus Sternberg, die Polstermöbel stammten aus Hagenow, in Crivitz gab es Nachttischschränkchen. Ein Bekannter hatte uns den Tipp gegeben, wo gerade etwas im Handel angeboten wurde." Ein anderes für die Reglementierung von Zahnärzten: "Als wir uns zur Behandlung anmelden wollten, mussten wir zunächst unsere Anschrift nennen, denn jedem Zahnarzt waren bestimmte Straßen zugewiesen." Dass man in Restaurants generell "platziert" wurde, das heißt, der Kellner entschied, wo man sich niederlassen durfte, musste man nicht nur auf dem Dreesch widerwillig akzeptieren. Kordula Winterfeld war von ihrem ersten Besuch in Schwerin allerdings enttäuscht. "Ich wohnte in einem Dorf im südlichen Zipfel des damaligen Bezirks Schwerin, bei Perleberg. In der dritten Klasse bereitete uns unsere Lehrerin auf einen Besuch der großen Bezirksstadt vor. Aufgeregt machten wir uns fein und fuhren zum Fernsehturm, um den sich damals aber noch Felder und Wiesen ausbreiteten. Das heutige Mueßer Holz gab es ja noch nicht. Wir konnten unsere Enttäuschung nicht verbergen - das sah hier ja genauso aus wie bei uns zu Hause auf dem Lande. Als ich später von Berufs wegen nach Schwerin kam, lernte ich diese Stadt dann doch lieben." ric
Bild:Erzähl-Café in der Friedrich-Engels-Straße Foto: hl